Zu Beginn der 1970er-Jahre konzentrierte sich die Denkmalpflege in der Schweiz noch vorwiegend auf sakrale und herrschaftliche Bauten – also auf Kirchen, Burgen und Patrizierhäuser. Einfache Wohn- und Wirtschaftsbauten galten dagegen kaum als schützenswert. Dieses Ungleichgewicht wird deutlich, wenn man die Entwicklung der Siedlung Guscha oberhalb von Maienfeld betrachtet.
Im Zuge der Aufgabe der Walsersiedlung nahmen viele ehemalige Bewohner jene Gegenstände mit, die für sie einen persönlichen oder materiellen Wert hatten: Kachelöfen wurden ausgebaut, Holztüren und kunstvoll geschmiedete Beschläge abgetragen. Die Eidgenossenschaft als damalige Eigentümerin (heute armasuisse Immobilien) liess zwar, in Zusammenarbeit mit dem Verein Pro Guscha, noch einzelne Instandsetzungsarbeiten ausführen – so wurden Dächer mit Eternit neu eingedeckt,– doch verfiel die Siedlung zunehmend. Leerstand und Vandalismus führten zu weiterer Substanzschwächung, damals wurde sogar erwogen, die Anlage vollständig zu planieren.
Erst ab Mitte der 1970er-Jahre setzte ein Umdenken ein. In vielen Regionen der Schweiz begannen Heimatvereine und Privatpersonen, auch schlichtere bäuerliche Bauten als kulturelle Zeugen vergangener Lebensformen zu begreifen. 1974 wurde der Verein Pro Guscha gegründet, mit dem Ziel, die Siedlung zu erhalten und einer sinnvollen Nutzung zuzuführen. Nicht ein musealer Stillstand, sondern eine behutsame Wiederbelebung war das Leitmotiv: Durch eine Bergwirtschaft und einfache Übernachtungsmöglichkeiten sollte die Guscha wieder zugänglich und erlebbar werden.
Die Gebäude waren ursprünglich in sehr einfacher Bauweise errichtet. Die Fundamente zeigten instabile Bereiche, Hangwasser drang in Mauern und Keller ein, Wärmedämmungen fehlten gänzlich, und die sanitäre Ausstattung war minimal. Elektrischer Strom war nicht vorhanden, und die Wasserversorgung entsprach weder den hygienischen, noch den technischen Anforderungen der Zeit. In den Folgejahren wurden daher umfangreiche bauliche Sicherungsmassnahmen umgesetzt.
Seit der Gründung hat der Verein über fünf Jahrzehnte hinweg kontinuierlich an der Erhaltung und behutsamen Erneuerung der Bausubstanz gearbeitet. Kachelöfen wurden mit zeitgerechten, handgefertigten Kacheln rekonstruiert, Türen und Inneneinrichtungen instand gestellt, Fundamente stabilisiert. Für den Betrieb der Gastwirtschaft wurde eine kleine Photovoltaikanlage installiert, die sanitären Anlagen wurden auf den Standard einer zeitgemässen Bergwirtschaft angepasst. Darüber hinaus wurden geforderte Verbesserungen zur Minimierung möglicher Gefahrenquellen umgesetzt – etwa durch den Einbau sicherer Treppengeländer, die Beseitigung von Stolperstellen sowie durch feuerpolizeiliche Schutzmassnahmen und Fluchtwegsicherungen. Ohne diese kontinuierlichen Arbeiten wäre die Siedlung wohl zerfallen oder abgebrochen worden.
Die Restaurierungen erfolgten in grossem Umfang durch die Aktivmitglieder des Vereins im Rahmen unzähliger Fronarbeitseinsätze. Aufwendigere oder sicherheitsrelevante Arbeiten wurden an Fachbetriebe vergeben. Angesichts der Vielzahl der Gebäude und der abgeschiedenen Lage stellte die Erhaltung eine erhebliche logistische und finanzielle Herausforderung dar. Öffentliche Unterstützung blieb aus, sodass der Verein auf Eigenmittel, Spenden von Passivmitgliedern und Gönnern und ehrenamtliche Arbeit angewiesen war.
Mit der Zeit änderte sich auch das Verständnis von Authentizität in der Denkmalpflege grundlegend. Heute gilt ein Gebäude nicht nur dann als authentisch, wenn jedes Brett und jeder Stein original sind, sondern wenn es seine Funktion, Atmosphäre und kulturelle Aussage als Teil einer lebendigen Tradition bewahrt.
Der heutige Zustand der Siedlung Guscha wird allgemein als beispielhaftes Ergebnis dieses Verständnisses gewürdigt. Die Anlage ist heute ein beliebtes Ausflugsziel und vermittelt Besucherinnen und Besuchern einen anschaulichen Eindruck früherer alpiner Lebensformen – ohne auf zeitgemässen Komfort und Sicherheit zu verzichten.
Der Erhalt der Guscha ist damit nicht das Ergebnis staatlicher Denkmalpflege, sondern das Verdienst der sorgfältigen, über Jahrzehnte hinweg konsequenten Arbeit des Vereins Pro Guscha.